"nach Art eines Füllens"
Figurine aus der Sammlung des Thomas-Mann-Archivs der ETH Zürich
"Wir sind ja genesene Leute", verkündet Hans Castorp seinem Vetter Joachim Ziemßen zu Beginn ihres Aufenthalts im Davoser Lungensanatorium, "abgefiebert und entgiftet … Warum sollten wir nicht ausschlagen wie die Füllen." Fohlen oder 'Füllen' werden in mehreren Texten Thomas Manns vergleichend herangezogen. Hier im Zauberberg (1924) ist es die Ausgelassenheit jugendlicher Stärke des kräftigen Jungtiers, in der Castorp sich und seinen Vetter wiedererkennt. Das enthüllt sich im Lauf der Romanhandlung als ein Moment tragischer Ironie: Joachim erliegt der Tuberkulose; Hans Castorp ereilt nach sieben Jahren des Nichtstuns und der Liebelei im Sanatorium vermutlich der Tod auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs.
Im Spätwerk hingegen, in Manns Phantasie über Goethe (1948), darf ein anderer "Jüngling" von "Siechtum" und vom "Rand des Grabes" genesen. Es ist kein Geringerer als der junge "Goethe in Straßburg", der zwar zunächst ein strebsames Leben als Student vorgibt, "in Wirklichkeit aber garnichts tut als lieben, leiden, schwärmen, faulenzen … – dies ständig hintenausschlagende Vollblut-Füllen und Genie im Puppenstande". Das "Füllen- und Spatzenstadium" bringt Goethe, wie Mann ihn hier darstellt, anders als Castorp erfolgreich hinter sich, um seine geistige Begabung mit "Lebensgewalt" zu entfalten.
Wohl nicht von ungefähr ist daher die ca. 12 cm hohe Bronze-Figurine eines Fohlens in Manns Nachlass zu entdecken, die noch in seinem letzten Arbeitszimmer in Kilchberg das Bücherregal über dem Schreibtisch schmückte. Viel ist über das Fohlen nicht bekannt; immerhin wissen wir: Es handelt sich um einen Guss nach Renée Sintenis von Anfang der 1930er-Jahre. Zu spät ist diese Figur also entstanden, um dem Schriftsteller während der Arbeit am Zauberberg vor Augen gestanden zu haben, die 1924 abgeschlossen war.
Das Fohlen gehört somit nicht zu jenen bekannten Gegenständen, die ihren Weg ins literarische Werk fanden – Fohlen-Figurinen sucht man in Manns Prosa vergeblich. Dass die kleine Tierfigur in seinem Arbeitsraum später einen so prominenten Platz behaupten konnte, mag eher umgekehrt damit zusammenhängen, dass sie gleich mehrere Vorstellungen aus seinen Texten verkörpert.
Denn neben dem krafttollen Überschwang der Jugend ist es noch eine zweite, ästhetisch-erotische Eigenschaft, die im Tiervergleich zum Ausdruck kommt. Als "hochbeinig und nicht breit in den Hüften“, auch ihre Brust explizit „nicht […] üppig entwickelt", wird im Zauberberg Hans Castorps verhängnisvolle Geliebte Clawdia Chauchat beschrieben. Ihre Knabenhaftigkeit mit den "hochsitzenden Wangenknochenpartie" und den "zauberhaft geschnittenen Kirgisenaugen" zeichnet sie als Wiedergängerin von Castorps früher Liebe aus, dem schrägäugigen Schulkameraden Pribislav Hippe.
Inwieweit Thomas Manns Fohlen Vorstellungen von jünglingshafter Schönheit und viriler Schaffenskraft in sich vereint, ließe sich in den Beständen der Zürcher Nachlassbibliothek noch detaillierter ermitteln. Schon der kurze Blick in den Zauberberg jedoch zeigt die Figurine in einem Bedeutungszusammenhang, der aus der Textwelt in die materielle Wirklichkeit hineinreicht.