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Thomas-Mann-Archiv / D-I-PA/1982/827

Katia Manns Röntgenplatten

„Beruht Thomas Manns ‚Zauberberg‘ auf Fehldiagnose?“, fragten am 9. April 1982 die Westfälischen Nachrichten. „Ein Röntgenbild bringt es an den Tag“, wusste am selben Tag das Mindener Tageblatt, und so machte die Anekdote, dass Thomas Manns Roman Der Zauberberg sich einer Fehldiagnose verdanke, seit den frühen 1980er-Jahren die Runde in der Presse.

Schlagzeile von Klaus Dallibor, entnommen aus: Wetzlarer Neue Zeitung, 10.04.1982 / Thomas-Mann-Archiv / D-I-PA/1982/833A

Die Anekdote geht auf den Mediziner Christian Virchow zurück, der in der Folge selbst detaillierten Bericht darüber ablegte. Virchow, der als junger Facharzt für Lungenkrankheiten 1959 nach Davos kam und später lange Jahre die Davoser Hochgebirgsklinik leitete, hatte früh ein Interesse an Thomas Manns Zauberberg-Roman und dessen medizinhistorischen Hintergründen. Bereits 1960 kontaktierte zunächst Erika Mann und konnte 1966 Katia Mann in Kilchberg besuchen, um die „Kronzeugin“, wie er sie nennt, über die damaligen Verhältnisse zu befragen. 

Als sich Katia Mann 1967 in Klosters aufhielt, suchte sie ihrerseits seinen medizinischen Rat, und im Jahr darauf kam es zu einem weiteren Treffen in Davos. Virchow erfuhr Details ihrer Krankengeschichte und ihrer Kuraufenthalte in Sils Maria, in Ebenhausen im Isartal, in Meran, in Arosa. Und sie erzählte ihm auch von ihrem Aufenthalt im Davoser Waldsanatorium, wo Thomas Mann sie 1912 besuchte und Inspiration für den Roman fand.

Katia Mann beim Empfang auf einem Parkplatz in Davos, Ganzaufnahme, die Hände schüttelnd, von links: Prof. Dr. Christian Virchow, Katia Mann, Dr. Christian Jost (Landammann von Davos), J. Waldburger (Direktor des Kurvereins).
Katia Mann, 1968 zu Besuch in Davos, schüttelt dem Landammann von Davos, Dr. Christian Jost, die Hand. Links hinter ihr steht Prof. Dr. Christian Virchow. / ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Foto: Unbekannt / TMA_1163

Ein Ergebnis des Austauschs zwischen Christian Virchow und Katia Mann war auch ihre ‚Neudiagnostizierung‘. „1967 hatte ich bei der damals 84jährigen eine Lungenübersichtsaufnahme anfertigen lassen“, so Virchow: „Von alten tuberkulösen Veränderungen keine Spur.“

1970 schließlich erhielt Virchow von ihr einen dicken Brief. „In dem äußeren Couvert steckte ein gefütterter Briefumschlag, der drei alte, kleinformatige Röntgenbilder, 9 mal 12 cm groß, enthielt, zumindest zwei davon – wie die Aufschrift verriet – aus dem Jahre 1912.“ Beim Vergleich mit der neueren Aufnahme kam er zum Schluss, dass auch auf den alten Bildern „keine gröberen pathologischen Veränderungen“ zu sehen seien.

Wo sich die historischen Röntgenaufnahmen, die Virchow damals erneut „gegen das Licht“ (GKFA 5.1, 367) hielt, heute befinden, ist nicht klar. Zumindest ein Röntgenbild von Katia Mann besaß der mittlerweile verstorbene Virchow noch im Jahr 2014, wie SRF berichtete.

Drei Röntgenbilder [von Katia Mann?] mit beschriftetem Umschlag. Davos, März und September 1912.
ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Foto: Christian Virchow / TMA_2139

Spurlos verschwunden sind sie jedenfalls nicht: In den Beständen des Thomas-Mann-Archivs befindet sich eine Fotografie, die Virchow selbst von den Röntgenplatten machte – vermutlich wohlweislich so belichtet, dass die Platten selbst als medizinische Unterlagen nicht zu deuten sind. Ganz klar ist dagegen Katia Manns Handschrift auf dem Umschlag zu lesen, in den sie die Aufnahmen damals verpackte: „Davos: März, September 1912.“

Drei Röntgenbilder [von Katia Mann?] mit beschriftetem Umschlag. Davos, März und September 1912.

 

Zitate von Christian Virchow aus: Medizinhistorisches um den „Zauberberg“. Augsburger Universitätsreden 26, hg. vom Rektor der Universität Augsburg, Augsburg 1995