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Politik und Kunst transatlantisch diskutiert

Neun herausragende Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft diskutieren im Thomas Mann House in Los Angeles im nächsten Jahr das Verhältnis von Kunst und Politik.

 

Die Freiheit der Kunst gehört zu den Geboten einer jeden Demokratie. Aber welche Rolle kommt der Kunst zu, wenn die Demokratie unter Druck gerät? Diese und weitere Fragen suchen die für das Jahr 2023 ausgewählten Thomas Mann Fellows in Los Angeles zu beantworten. Während mehrmonatiger Aufenthalte im ehemaligen Exilwohnsitz der Familie Mann, dem heutigen Thomas Mann House, werden sie im Austausch mit US-amerikanischen Expert:innen und der Öffentlichkeit an eigenen Projekten zum Jahresthema "Das politische Mandat der Kunst" arbeiten.
Diese neun Stipendiat:innen wurden vom unabhängigen Beirat des Thomas Mann House für Aufenthalte im kommenden Jahr nominiert: der Journalist René Aguigah, der Dichter Ghayat Almadhoun, die Historikerin Nikita Dhawan und die Erziehungswissenschaftlerin María do Mar Castro Varela, die Kunstwissenschaftlerin Carolin Görgen, die Journalistin Marlene Grunert, die Autorin Alice Hasters, der Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller sowie die Medienwissenschaftlerin und Kuratorin Sophie-Charlotte Opitz.

 

In ihren Projekten gehen die Fellows den folgenden Themen nach:


René Aguigah ist ein deutscher Kulturjournalist und Moderator. Er ist seit 2019 Ressortleiter für Literatur, Philosophie und Religion bei DEUTSCHLANDFUNK KULTUR.
"Das Werk James Baldwins ist ein eminenter Beitrag zum Verständnis von Rassismus auf Makro- wie Mikroebenen. Es hält dabei Spannungen aus, die ich während meines Aufenthaltes im Thomas Mann House schärfen werde: Dazu gehören die Polaritäten zwischen künstlerischer Arbeit und politischer Intervention, zwischen Literatur als fiction und als nonfiction, zwischen Partikularismus und Universalismus, und auch die bei Baldwin vereinten marginalisierten Perspektiven als schwarz, arm und homosexuell."

 

Ghayat Almadhoun ist ein palästinensisch-schwedischer Dichter. Nach einem Stipendium des DAAD-Künstlerprogramms lebt er heute in Berlin und Stockholm.

"In LA werde ich die Ursprünge meines doppelten Exils untersuchen; eines staatenlosen Kindes, das in Damaskus geboren wurde und gezwungen war, aus dem syrischen Exil in ein westliches zu fliehen. In Form eines Tagebuchs notiere ich das Paradox dieses neuen Lebens durch sich spiegelnde Erinnerungen. Ich bin nicht mehr nahöstlich und ich werde auch nie zu 100 Prozent westlich sein. Ich bin eine neue Spezies, die aus dem Exil kommt und in der Parallele lebt."

 

Maria do Mar Castro Varela ist Professorin für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin & Nikita Dhawan ist Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden.
"Um Antworten auf die drängenden Fragen um das politische Mandat der Kunst zu finden, befassen wir uns mit dem Artivismus, der Verbindung von Kunst und sozialer Aktion, dessen Ursprünge in den sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre in Los Angeles und Berlin liegen, und untersuchen, ob und wie eine ästhetische Bildung helfen kann, sich eine planetarische Zukunft vorzustellen."

 

Carolin Görgen ist Associate Professor for American Studies an der Sorbonne Université Paris.
"Ich werde der Rolle der Fotografie im US-amerikanischen Westen, insbesondere in Kalifornien, nachgehen und dabei das historisch weit verbreitete Bild des Fotografen als einsamer Entdecker in scheinbar unberührter Natur hinterfragen. Fotografische Arbeit betrachte ich vor dem Hintergrund anhaltender umweltpolitischer Konflikte um Expansion, gewaltsame Transformation der Landschaft und Enteignung. Ziel ist es, die ästhetischen Bilder des Westens zu re-politisieren und alternative Rollen von Kunstschaffenden in einer vom Klimawandel geprägten Zeit aufzuzeigen."

 

Marlene Grunert ist politische Redakteurin der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
"Die Frage nach einem 'politischen Mandat der Kunst' ließe sich schlicht beantworten: Kann sie haben, muss sie nicht. Die Kunst ist frei. Ich möchte mich den Folgen widmen, die eine Politisierung nach sich zieht. Wenn eine Hochschule ein Gedicht an ihrer Fassade übermalt – ist dann die Kunstfreiheit gefährdet? Oder soll der Verweis aufs Recht einem ideologischen Standpunkt vermeintlich objektives Gewicht verleihen? Zu klären ist nicht nur der Begriff der Kunstfreiheit, sondern auch das Spannungsverhältnis zwischen Verfassung und gesellschaftlichem Wandel."

Alice Hasters ist Journalistin, Buchautorin und Podcasterin. Sie arbeitet unter anderem für die TAGESSCHAU und den RBB.
"Wer tanzt und wie, was wir als kulturell und künstlerisch relevant betrachten, ist stark von Rassismus geprägt. 'Schwarze können tanzen, Weiße können es nicht' ist eine Annahme, die sich bis heute hält und insbesondere in multi-ethnische Gesellschaften präsent ist. Tanz scheint etwas zu sein, dass unvereinbar mit Macht ist. Die Reichen, die Weißen, die Männer, die Heterosexuellen, die Alten – sie tanzen nicht. Ich möchte herausfinden, inwiefern Tanz als gelebte beziehungsweise nicht-gelebte Praxis Schwarze, Weiße und andere Identitäten prägt. Und ob Tanz ein Instrument sein kann, Machtpositionen abzubauen und herauszufordern."


Kai Hinrich Müller ist Musikwissenschaftler und Kurator. Aktuelle Projekte sind Musica non grata (mit dem Nationaltheater Prag) und Musikleben am Bauhaus – Bauhaus im Musikleben (mit dem Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin).
"Kaum ein Thema hat den gesellschaftlichen Diskurs in den letzten Jahren so geprägt wie die Corona-Pandemie. Auch Musiker:innen haben sich immer wieder in die Debatten eingebracht, um auf sich, ihr Verstummen und die Bedeutung ihrer Kunst für ein demokratisches Miteinander aufmerksam zu machen – dass sie gerade im spätmodernen 21. Jahrhundert systemrelevant ist. Im Rahmen des Fellowships soll die Politisierung und damit die 'politische Stimme' von Musiker:innen aus transatlantischer Sicht betrachtet werden."


Sophie-Charlotte Opitz ist Kuratorin, Kunstwissenschaftlerin und künstlerische Leitung des Museums Villa Rot.
"Ich erforsche transnationale Bildstrategien, die Hoffnung als demokratisches Handlungsprinzip in ihr Zentrum stellen. Dabei wende ich mich Protestbewegungen wie dem Abortion Rights Movement zu. Von Fotografie über Plakate bis zu TikTok-Videos und Memes, widme ich mich ihren visuellen Strategien mit Blick auf diskursive Kontinuitäten und Brüche. Wenn Hoffnung als Handlungsprinzip im Zentrum von Protestbewegungen steht, so meine These, können hegemoniale Deutungsimperative aufgebrochen werden."


Die Auswahl der Fellows traf der unabhängige Beirat des Thomas Mann House: Prof. Dr. Helmut Anheier (Professor für Soziologie an der Hertie School of Governance, Mitglied des US-Advisory Boards des TMH), Christiane Benner (Zweite Vorsitzende der IG Metall), Lorena Jaume-Palasí (Gründerin von The Ethical Tech Society), Prof. Dr. Peter Jelavich (Professor für Geschichte an der Johns Hopkins University), Heike Catherina Mertens (Mitglied des Vorstandes der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung), Prof. Dr. Ulrich Raulff (Präsident des IfA – Institut für Auslandsbeziehungen), Alex Ross (Journalist The New Yorker, Mitglied des US-Advisory Boards des TMH).


Die Berthold Leibinger Stiftung, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie das Auswärtige Amt finanzieren die Thomas Mann Fellowships. Der gemeinnützige Verein Villa Aurora & Thomas Mann House wird vom Auswärtigen Amt, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Goethe-Institut gefördert.


Der Villa Aurora & Thomas Mann House e. V. fördert als unabhängiger und parteipolitisch ungebundener Mittler der Bundesrepublik Deutschland den geistigen und kulturellen Austausch zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika.
Der gemeinnützige Verein vergibt Stipendien in den beiden Residenzen Villa Aurora und Thomas Mann House in Pacific Palisades, einem Stadtteil von Los Angeles im US-Bundesstaat Kalifornien, und veranstaltet Kulturprogramme in den Vereinigten Staaten und in Deutschland. Er hält die Erinnerung an die europäische Exilgeschichte in Kalifornien wach, vermittelt ein zeitgemäßes, vielfältiges Deutschlandbild und ermöglicht ein gemeinsames Nachdenken über gesellschaftliche, kulturelle und politische Herausforderungen.